Die Gewährspersonen der Herzsucher
Frau K.
Sie ist 1928 in Rohne geboren in dem Haus wo sie heute noch wohnt. Frau K. ist in einer landwirtschaftlichen Familie aufgewachsen und musste auf dem Hof mithelfen. Sie hatten viele Tiere auf dem Hof und von der Waldwirtschaft gelebt.
In ihrer Kindheit wurde es oft so kalt, dass die Struga zugefroren ist und sie darauf Eislaufen konnten. Ende des zweiten Weltkrieges musste Frau K. aus Rohne flüchten, weil die Sowjetarmee anrückte. Erst Wochen später konnte sie in den geplünderten Hof zurückkehren. Auf ihrem Hof haben zu der Zeit auch Flüchtlinge gewohnt.
Ihre sorbische Abstammung und die sorbische Sprache waren Frau K. immer sehr wichtig, deswegen hat sie 1972 eine sorbische Heimatstube gegründet. Diese Heimatstube stand auf ihrem Hof. Heute ist diese Heimatstube im Njepila-Hof untergebracht. Frau K. war immer sehr naturverbunden und sie hat viel Zeit in den Rohner Wäldern verbracht. Sie ist außerdem sehr gläubig.
Ihrer Meinung nach hat sich Rohne in den letzten Jahren sehr verändert. Früher war es ein kleineres Dorf. Heute leben viele Fremde in Rohne, die Frau K. gar nicht mehr kennt. Außerdem sind viele Handwerke ausgestorben und viele Gebäude stehen leer. Trotzdem lebt Frau K. gerne in Rohne und genießt die Natur.
Zum Tagebau hält sie sich mit einer Meinung zurück. Die Entscheidung darüber muss die jüngere Generation treffen. Sie glaubt nicht, dass sie selbst die mögliche Abbaggerung von Rohne noch erlebt.
Frau M.
Frau M. wurde 1931 geboren und wohnt schon ihr ganzes Leben in Trebendorf. Sie ging bis zur achten Klasse in die Schule, erhielt aber nie eine berufliche Ausbildung. Stattdessen arbeitete sie immer auf dem Hof und auf den Feldern ihrer Familie. Viel Geld hatten sie nicht, sodass die Familie keine weiteren Arbeitskräfte anstellen konnte. Also musste alles allein bewerkstelligt werden und obwohl die Arbeit immer sehr hart und anstrengend war, empfand Frau M. sie als sehr lohnenswert. Familie M. besaß weitere Felder und Wälder, die heute zum Teil schon dem Tagebau zum Opfer gefallen sind. Das Haus, in dem sie und einer ihrer Söhne heut noch wohnen, hat die Familie selbst gebaut. Nach ihrer Aussage hatte sie wohl jeden einzelnen Stein mal in der Hand.
Frau M. ist eine der Wenigen, die noch fließend das Schleifer Sorbisch sprechen und die Bräuche und das Trachten tragen hoch halten. Sie hat auch noch bis zu ihrer Hochzeit im Alltag die sorbische Tracht getragen, aber, anders als noch ihre Mutter, zu ihrer Hochzeit in „normaler“ Kleidung geheiratet, weil zu diesem Zeitpunkt das Tragen von Trachten schon nicht mehr modern war.
Ihr Ziel ist es heute, an den alten Traditionen festzuhalten. In ihrer Familie werden jedes Jahr in der Schlachteküche Ostereier bemalt und zu Weihnachten kleidet sie das sorbische Bescherkind ein. Dazu gibt sie ihre wertvollen Trachten her und das Bescherkind darf sogar die über 100 Jahre alten Schuhe ihrer Großmutter tragen. Vielleicht wird ihre Urenkelin, eine der Herzsucherinnen, bald einmal das Bescherkind verkörpern. Die Kleidungsstücke pflegt sie mit großer Sorgfalt. Sie findet es sehr schade, dass das Sorbische in der Region immer mehr verschwindet. Mehr noch litt sie unter dem Verlust der Natur durch den Tagebau in früheren Jahren. Der Schutzstreifen für Nochten I liegt nun unmittelbar vor ihrem Hof. Heute steht das Thema Tagebau für sie nicht mehr im Mittelpunkt. Es hat aufgrund ihres Alters an unmittelbarer Relevanz verloren.
Herr L.
Herr L. ist geborener Schleifer und lebt seit einigen Jahren im Haus des alten Kindergartens in Trebendorf. Er ist ein Mann mit vielen Leidenschaften. Eine, die schon in seine Kindheit zurückgeht, ist die Jagd. Außerdem hat er eine tiefe Faszination für die Wälder der Region, durch die er seit seiner Jugend fast jeden Tag streift, sowie für die Tiere. Ganz besonders faszinieren ihn Raubvögel. Folglich hat er sehr früh sowohl die Jäger- als auch die Falknerprüfung abgelegt. In seinem Leben hat er so manchen Raubvogel gezähmt, wobei er mit einem Roten Milan, der ihm durch Zufall zukam, eine besondere Verbindung hatte. Er liebte es, wie majestätisch dieser in großen Höhen kreiste, aber auf kurzen Zuruf sofort an seiner Seite war.
Obwohl er so viel Leidenschaft für diese Beschäftigungen hatte, konnte er sie nicht zum Beruf machen. So lernte er im Tagebau Maschinist und wurde später Baggerfahrer. In dieser Position bildete er auch Lehrlinge aus, über die er sich immer wieder wegen ihrer Faulheit aufregte. So steht es wohl um jede junge Generation. Heute arbeitet er bei einer privaten Holzfirma und in diesem Zusammenhang ist er auch im Tagebauvorfeld eingesetzt. Wegen seiner Faszination für die Wälder und Tiere ist er jedoch sehr traurig über ihr Verschwinden.
Herr S.
Herr S. führt zusammen mit seiner Frau seit Mitte der 1970er Jahre den Gasthof „Zur Erholung“ in Mühlrose. Seine Schwiegereltern waren zuvor die Wirtsleute. Die Familie betrieb in dem Anwesen auch einen Kolonialwarenladen und eine Fleischerei. Gegründet hat den Gasthof Matthäus Marusch im Jahr 1925. Er kam mit nur einem Bein aus dem Ersten Weltkrieg zurück, konnte daher nicht in der Landwirtschaft arbeiten und wurde Wirt. Er benötigte aber erst eine behördliche Genehmigung für seine Gastwirtschaft, da es bereits eine andere in Mühlrose gab.
Der Gasthof war über Jahrzehnte eines der gesellschaftlichen Zentren des Dorfes. An den Wochenenden war auf dem Saal regelmäßig Tanz. Dabei saßen die Älteren auf Bänken ringsum an den Wänden und behielten genau im Blick, wer von den jungen Leuten miteinander tanzte. Eine dieser Bänke steht noch in einer Abstellkammer neben der Bühne. Auf der Bühne spielten regelmäßig Laientheatergruppen und Kapellen. Das Bühnenbild mit der auf Leinwand gemalten idyllischen Flusslandschaft stammt aus dem Saal in Tzschelln. Als das Dorf 1976 für den Tagebau Nochten abgerissen wurde, brachten es die Tzschellner ins Mühlroser Gasthaus. Bis heute kommen sie gern hierher, um es sich anzuschauen und so an ihr verschwundenes Dorf zurückzudenken. Mit der Eröffnung des Tagebaus kamen auch Brigadefeiern zum Veranstaltungskalender im Saal hinzu. Eine Spezialität bei S. waren außerdem die großen Schlachteplatten. Nach 1995 durften sie diese aber wegen schärferer EU-Hygienevorschriften nicht mehr anbieten.
Der Saal hat einen Schwingboden, der beim Tanzen und Bedienen angenehm mitfedert und so die Füße schont und das Tanzen erleichtert. Geheizt wird der Raum bis heute mit einem großen Eisenofen, der ursprünglich einmal in der alten Mühlroser Schule stand. Hinterm Tresen im Schankraum, der mit Jagdtrophäen geschmückt ist, für die der alte Wirt eine Schwäche besaß, geht es durch eine Bodenklappe in den in Lehm gebauten Eiskeller, in dem früher das Bier gekühlt wurde.
Derzeit ist die Stimmung in Mühlrose von großer Unsicherheit geprägt. Das Dorf würde durch den herannahenden Tagebau zu einer vom Umland fast völlig abgeschnittenen Halbinsel, nachdem es beim Beginn des Kohleabbaus bereits zwei Dorfteile verloren hat. Von einstmals neun Wegeverbindungen in die Welt bliebe Mühlrose eine einzige. Der alte Wald, der immer die Lebensgrundlage der Mühlroser gebildet hat und sie prägte, wird größtenteils verschwunden sein. Alle können sich noch an die Belastungen erinnern, die der Ort auszustehen hatte, als in direkter Nachbarschaft die Kohleverladung und der Bagger standen. Daher hatte sich das Dorf nach langem Überlegen und Verhandeln zur freiwilligen Umsiedlung entschlossen. Nun liegen die unterschriftsreifen Pläne auf Eis und keiner weiß, was wird.
Die beiden haben im Herbst 2015 ihren Gasthof geschlossen und öffnen nur noch auf Anfrage. Es gibt inzwischen nicht mehr genügend Besucher.
Herr P.
Herr P. ist 87 Jahre alt, Sorbe, stark christlich geprägt und lebt gemeinsam mit fünf Generationen seiner Familie auf dem Gehöft, das seine Eltern nach 1945 an der Mulkwitzer Chaussee gebaut haben. Die Ziegel dafür kamen als Deputat mit dem Zug von Weißwasser zum Schleifer Bahnhof und wurden von dort mit dem Ochsengespann abgeholt. Damals war die Straße nur halbseitig gepflastert, die andere Hälfte war als „Sommerweg“ der Kühe eine Sandpiste.
Herr P. verlor zwei Brüder im Zweiten Weltkrieg. Als er selbst als „Werwolf“ als letztes Aufgebot an die nahe Front gefahren werden sollte, fuhren glücklicherweise keine Züge mehr. Nach dem Krieg arbeitete er dann vierzig Jahre bei der Bahn.
Ursprünglich lebten Ps. an der Dorfstraße von Mulkwitz, wo sie den Kolonialwarenladen führten. Der Vater hatte als erster in Mulkwitz ein Fahrrad und später auch den ersten Fernseher, vor dem sich abends regelmäßig das ganze Dorf versammelte. Zum Hof gehörte immer auch eine Landwirtschaft, die beispielsweise Zuckerrübensirup für den Eigenbedarf abwarf. Malzbier und Backwaren brachten die Händler aber mit dem Wagen an die Haustür. Eine Kindheitserinnerung von Herrn P. ist, wie die Dorfkinder sich Bretter und Steine besorgten und damit die Struga anstauten, um eine Badestelle zu haben. Manchmal trat dabei das Wasser auf die benachbarten Wiesen und es gab schlimmen Ärger mit den Bauern.
Herr P. hat sich in jungen Jahren selbst das Spielen mehrerer Musikinstrumente beigebracht, z.B. das Akkordeon, obwohl er keine Noten lesen kann. Er hat dann jahrelang auf Familienfeiern und bei Festen Tanzmusik gespielt. Früher waren die Feiern viel größer und ausschweifender als heute. Und viele der alten Dorfbräuche, wie das Ostergießen bei dem man sich gegenseitig mit Wasser bespritzte, sind nach 1945 allmählich verschwunden. Auch zum Federnschleißen treffen sich die Frauen schon lang nicht mehr und die Männer kommen nicht mehr dazu, um sie zu ärgern. In jedem Mulkwitzer Hof gab es viele Kinder. Heute ist das nicht mehr so.
Die Tochter von Herrn P. denkt immer noch viel an den alten Tiergarten mit seinen Quellen, kleinen Bächen und dem hohen Farnkraut zurück. Er fehlt ihr und das seine Reste nun dem Tagebau weichen müssen, tut ihr weh. Darüber geht ihr die mögliche Abbaggerung von Mulkwitz, die sie vor Jahren noch sehr empört hat, mittlerweile nicht mehr so nahe. Vor einer Weile ist sie im Wald einem Wolf begegnet. Sie hat sich ganz groß gemacht und gefährlich getan obwohl sie eigentlich Angst hatte. Da ist der Wolf verschwunden.
Frau G.
Frau G. ist heute Rentnerin und lebt in Schleife in der „Glückauf“-Siedlung. Ihre Familie stammt aber von einem Bauernhof im Kleinen Berlin in der Nähe von Rohner Forsthaus. Dort ist sie auch aufgewachsen. Ihre Mutter lebte bis zu ihrem Tod 1975 hier draußen am Waldrand und heute wohnt hier ihre Tochter.
Im Kleinen Berlin war der Wald wie ein zweites Zuhause, alle Kinder der Gegend haben zusammen in ihm gespielt. Frau G. erinnert sich auch an die dicken Federbetten, in die man den Kindern einen warmen Ziegelstein mit gab, der zuvor im Küchenofen gelegen hatte. Die Küche war der einzige beheizbare Raum des Hauses, und man konnte hier auch auf dem Ofen schlafen. Auf dem Hof gab es Schweine, Kühe und ein Pferd und unterm Hausdach eine Räucherkammer. Im Sommer kam zur Getreideernte eine Dreschmaschine auf den Hof gefahren. Einmal in der Woche war Waschtag für die ganze Familie in einer Blechwanne in der Futterküche.
Der Vater von Frau G. war Besenbinder und Maler. Er besaß eine Farbrolle, in die man verschiedene Gummiwalzen einklemmen konnte, mit denen man unterschiedliche Blumen-Muster auf die Kalkwände der Bauernhäuser aufbringen konnte. Der Holzkasten mit den Walzen liegt bis heute im alten Wohnhaus, das nun aber nur noch als Abstellkammer dient. In seiner Freizeit war der Vater Mitglied in einem Schleifer Kunstrad-Verein. Manchmal machte er darum zur Freude der Kinder mit dem Rad Tricks auf dem Hof.